Ausblick der Unternehmerschaft Niederrhein auf das Wirtschaftsjahr 2024
Strukturelle Nachteile am Standort Deutschland machen auch vor dem linken Niederrhein nicht Halt und drücken derzeit die Stimmung – nicht nur in den Unternehmen, sondern auch beim Arbeitgeberverband für die Region. Damit die Unternehmen ihrer Verantwortung für Arbeits- und Ausbildungsplätze sowie für Investitionen in Innovationen am Standort linker Niederrhein weiterhin gerecht werden können, müssen sie die hierfür erforderlichen wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen vorfinden, so Kirsten Wittke-Lemm, Hauptgeschäftsführerin der Unternehmerschaft Niederrhein, die daher eine klare Aufgabenbeschreibung für das Jahr 2024 sieht.
Die Wirtschaft schwächelt, das böse Wort Industrieschrumpfung macht auch am Niederrhein die Runde. Jetzt macht die Ampel Energie noch teurer. Das richtige Zeichen - insbesondere an die Chemiebranche am linken Niederrhein?
2023 rechnet die Branche insgesamt mit einem Produktionsminus von 8 Prozent. Das ist noch einmal schlechter als im Krisenjahr 2022 mit der russischen Invasion in die Ukraine und den damit einhergehenden explodierenden Energiekosten. Eine Zahl, die tief blicken lässt. Auch wenn das Strompreispaket der Ampel-Koalition mit der Senkung der Stromsteuer richtige und wichtige Impulse setzt: Die Probleme der energieintensiven industriellen Betriebe sind damit nicht gelöst. Im internationalen Vergleich sind und bleiben die Energiekosten viel zu hoch.
Die Arbeitgeber fordern die Bundesregierung auf, die zweite Halbzeit der Legislaturperiode konsequent für umfassende Weichenstellungen zur Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland zu nutzen. Warum ist es hier aus Ihrer Sicht bereits 5 vor 12?
Fakt ist, dass die deutsche Wirtschaft zu viele Lasten zu tragen hat. Übermäßige Bürokratie, zu wenig Tempo bei der Digitalisierung und zähe, langwierige Planungs- und Genehmigungsverfahren machen den Unternehmen das Leben unnötig schwer. Hinzu kommt die Infrastruktur, deren Modernisierung mehr als überfällig ist. Wenn wir den Turnaround schaffen wollen, müssen wir hier ansetzen.
Nordrhein-Westfalen und damit auch der Niederrhein mit seinen energieintensiven Industrien und bis heute vollständigen industriellen Wertschöpfungsketten steht aktuell besonders unter Druck. Was hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Bundeshaushalt in diesem Zusammenhang ausgelöst?
Es hat für eine erhebliche Verunsicherung der Unternehmen gesorgt. Unsere Unternehmen müssen sich darauf verlassen können, dass bereits erfolgte Zusagen eingehalten werden – insbesondere, was vorgesehene Finanzmittel für die vier Säulen Verkehrsinfrastruktur, Digitalisierung, Transformation und Energieversorgung angeht. Leider lässt der Kompromiss zum Bundeshaushalt 2024, den die Ampel nach dem Karlsruher Haushaltsurteil gefunden hat, nachhaltige Impulse zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen vermissen, genau wie Strategien zur Bewältigung der Transformation und zur Sicherung einer finanzierbaren Energieversorgung.
Und das alles in Zeiten, in denen der Fachkräftemangel erdrückend ist und ein weiterer Pisa-Schock das Bildungssystem erschüttert. Was tut die Unternehmerschaft Niederrhein, um die Unternehmer bei der Gewinnung von Fachkräften zu unterstützen?
Die aktuelle Pisa-Studie zeigt deutlich: Unsere Schülerinnen und Schüler müssen in der Schule gezielt individuell gefördert und ihre Kenntnisse und Fähigkeiten gestärkt werden. Als Unternehmerschaft Niederrhein leisten wir mit unserem Regionalwettbewerb Jugend forscht einen wichtigen Beitrag dazu: Der Wettbewerb kurbelt die MINT-Begeisterung an den Schulen und für eine Karriere in der regionalen Wirtschaft an und setzt damit ein Ausrufezeichen gegen den Pisa-Schock. Mit vielen weiteren Modulen holen wir die Gen Z gezielt dort ab, wo sie sich auf dem Arbeitsmarkt einbringen kann: Vom BERUFSPARCOURS, über die Chemie-Akademie Krefeld, unterstützt durch CURRENTA, bis hin zum Info-Truck der Metall- und Elektroindustrie.
Ein Vehikel, dem Fachkräftemangel zu begegnen, sind auch interessante Arbeitszeitmodelle. Nun gehen Sie als Unternehmerschaft Niederrhein mit gutem Beispiel voran und bieten im eigenen Haus die Möglichkeit einer Teilzeitausbildung.
Und das funktioniert hervorragend, wir können es nur weiterempfehlen! Dass wir einer alleinerziehenden Mutter die Chance geben, Familie und Beruf zu vereinbaren und sich weiterzuentwickeln, ist gleichermaßen eine Investition in ihre sowie in unsere Zukunft. Für die Wirtschaft in der Region ist die Teilzeitausbildung ein wichtiges Instrument, um potentielle Fachkräfte und Betriebe zusammenzubringen und die vorhandenen Erwerbspotenziale von Frauen besser zu nutzen.
Sie sind nach mehr als 75 Jahren seit 2021 die erste Frau an der Spitze des großen Arbeitgeberverbandes am Niederrhein. Zusammen mit der Hochschule Niederrhein und den Leading Ladies in Town, hat die Unternehmerschaft Niederrhein ambitionierte Frauen im vergangenen Jahr ermutigt, ihren beruflichen Weg zu gehen. Was steckt hinter dem gemeinsam aufgelegten Mentoring-Programm?
Wir haben junge Studienabsolventinnen des Fachbereichs Wirtschaftsingenieurwesen mit Führungskräften aus niederrheinischen Unternehmen zusammengebracht. Die wenig berufserfahrenen Mentees konnten so aus den Erfahrungen führender Personaler lernen und sowohl fachliche als auch persönliche Horizonte erweitern. Die Hochschule Niederrhein und wir freuen uns gemeinsam mit den Leading Ladies in Town schon darauf, in 2024 erneut Personalpotenziale aus der Praxis für die Praxis für die heimische Wirtschaft zu heben.
Der Druck wird größer, das Geld knapper, die Wirtschaft als Motor und Impulsgeber unseres Wohlstands bekommt kaum noch die Kurve. Als Sozialpartner gehören Tarifabschlüsse zur DNA Ihres Arbeitgeberverbandes. Aber wird das nicht mehr und mehr zur Quadratur des Kreises?
Tarifverhandlungen sind immer eine Herausforderung, die von beiden Seiten angenommen werden muss. Ziel ist es, Beschäftigungsbedingungen im sozialpartnerschaftlichen Miteinander ausgewogen zu gestalten. Gerade jetzt, wo wir uns komplexen Veränderungsprozessen ausgesetzt sehen - von der Transformation unserer Industrie hin zu einer klimaneutralen Produktion mit enormen Veränderungen in der Arbeitswelt und der Fachkräftesicherung in Zeiten demografischen Wandels – bieten Tarifautonomie und Sozialpartnerschaft die Chance, tarifpolitische Lösungen zu finden, die die Wettbewerbsfähigkeit unserer Betriebe und damit Beschäftigung sichern, im besten Fall sogar verbessern.