Neues Jahr, neues Glück? Ausblick der Unternehmerschaft Niederrhein auf das Wirtschaftsjahr 2022
Corona, die digitale Transformation, Fachkräftegewinnung – das Arbeitsleben befindet sich im Wandel. Welche Perspektiven eröffnen sich der regionalen Wirtschaft im Jahr 2022? 10 Fragen, 10 Antworten von Kirsten Wittke-Lemm, Hauptgeschäftsführerin der Unternehmerschaft Niederrhein.
Frau Wittke-Lemm, wenn Sie ein Stimmungsbild zur Situation am Niederrhein abgeben müssten, wie sähe das aktuell aus?
Gemischt! Das liegt nicht nur an der hohen Heterogenität aufgrund der unterschiedlichen Branchen am Niederrhein, sondern es liegt auch daran, dass wir uns in höchst unsicheren Zeiten bewegen. Corona ist nach wie vor das alles beherrschende Thema, das uns auch in diesem Jahr begleiten wird. Ich glaube, das Wichtigste ist, dass wir immer weiter lernen, mit Corona umzugehen, noch vorausschauender und noch pragmatischer zu agieren, um die nächste Welle eindämmen zu können und langfristig einen wirksamen persönlichen allgemeinen Schutz gegen das Virus aufzubauen. Beim Thema Impfen ist immer noch Luft nach oben.
Wie ist denn die Ausgangslage der Wirtschaft am Niederrhein zum Jahresbeginn?
Trotz Industrierezession und Pandemie verzeichnen wir in den Industriebranchen eine weitestgehend stabile Beschäftigungslage. Das ist durchaus erfreulich und zeigt, dass sich das Instrument der Kurzarbeit mehr als einmal bestens bewährt hat. Zum Bild gehört erfreulicherweise auch, dass die Auftragsbücher in einigen Industriebranchen gut gefüllt sind. Allerdings wird der Optimismus, der sich durch die gute Auftragslage einstellen könnte, durch hohe Unsicherheiten getrübt. Lieferkettenprobleme und unabsehbare Auswirkungen der Pandemie machen es den Unternehmen schwer, sicher sein zu können, ob die Nachfrage auch tatsächlich bedient werden kann.
Das heißt, es gibt auch Fallstricke?
Natürlich! Durch die Versorgungsengpässe beim Material werden die logistischen Abläufe massiv gestört. Das hat zur Folge, dass die Produktion nicht ausgelastet ist, was sich im Umsatz bemerkbar macht. Zudem machen die hohen Energiekosten den Unternehmen zu schaffen. Die Erdgaspreise sind förmlich durch die Decke geschossen. Die Situation ist also fragil. Und dann gibt es neben der Pandemie ja noch zusätzliche Herausforderungen für die Unternehmen – von der digitalen Transformation über Dekarbonisierung bis hin zum demographischen Wandel.
Nun ist die Regierungskoalition Rot-Grün-Gelb seit einigen Wochen am Ruder. Was erwarten Sie?
Dass die Politik planbare Leitplanken schafft, zwischen denen unternehmerisches Handeln möglich ist. Der Koalitionsvertrag enthält beispielsweise wichtige Grundsatzentscheidungen für ein klimaneutrales Industrieland. Unsicherheit besteht jedoch darin, wie die tatsächliche Umsetzung aussehen soll und wird. Die Unternehmen brauchen Planungssicherheit in Bezug auf die erforderlichen Investitionen. Die Ampel-Koalition muss dazu einen regulatorischen Rahmen liefern, der gleichzeitig Spielraum für ein erfolgreiches Handeln in den Unternehmen zulässt.
Wagen Sie eine Prognose für 2022?
Es gibt Omikron und damit eine Entwicklung, die weitere Unsicherheiten bringt. In dieser Lage wäre eine Prognose Kaffeesatzleserei. Fest steht: Wir müssen unsere Hausaufgaben ordentlich abarbeiten und ansonsten intelligent und flexibel auf die Launen des Virus reagieren. Hier stehen wir im ständigen Dialog mit unseren Mitgliedsunternehmen.
Sie sind verlässlicher Partner der Unternehmen. Wie leben Sie diesen Anspruch?
Indem wir trotz aller Turbulenzen den Überblick behalten, unseren Unternehmen die Auswirkungen von Gesetzesnovellen und Koalitionspapieren für die betriebliche Praxis übersetzen und praktikable Lösungen kommunizieren. Unsere Unternehmen spiegeln uns, dass wir in diesen unsicheren Zeiten so etwas wie der Guide sind, der Orientierung bietet. Wir beraten in schwierigen arbeitsrechtlichen Fragestellungen - auch in solchen, die Pandemie-bedingt immer häufiger auftauchen. Das geht von Entgeltfortzahlungen bei Quarantäne bis hin zur Nichtbeachtung der 3G-Regel. Zudem zeigen wir auf, was die Unternehmen bereits leisten – beispielweise beim mobilen Arbeiten. Hier ist die Wirtschaft schon kreativ geworden, als von Corona noch keine Rede war. Gleiches gilt für Klimaneutralität in der Industrie. Dieses Postulat ist schon lange in vielen Unternehmens-Leitlinien fixiert. Hier muss kaum jemand von der Politik zum Jagen getragen werden.
Das Thema Bildung ist der Unternehmerschaft Niederrhein ein großes Anliegen. Wie wichtig ist diese Säule für die Unternehmen in der Region?
Bildung ist mehr als eine Säule, sie ist das Fundament jeglichen unternehmerischen Handelns. Je besser die Ausbildungsperspektiven, je umfassender die Fortbildungsmöglichkeiten, desto erfolgreicher agieren die Unternehmen im Wettbewerb. Die duale Ausbildung ist hier besonders hervorzuheben. Arbeitgeber, die stark auf die Karte Bildung setzen, sind attraktiver für potenzielle Bewerber. Sie verzeichnen mehr Erfolge im Recruiting von Fachkräften und schaffen es besser, die eigenen Mitarbeiter ans Unternehmen zu binden.
Wo drehen Sie konkret an der Bildungsschraube?
Wir als Unternehmerschaft Niederrhein bieten diverse Matching Tools für junge Menschen, beispielsweise den Chemie-Aktionstag in Kamp-Lintfort, die Chemie-Akademie in Kooperation mit Currenta, Jobbörsen sowie den M+E-Infotruck. Über niederschwellige Angebote wie diese holen wir die Jugend dort ab, wo sie gerade unterwegs ist. Das ist Recruiting zum Anfassen, geradlinig und unkompliziert.
Viele Menschen haben die Unternehmerschaft Niederrhein über „Jugend forscht“ kennengelernt. Ihr Arbeitgeberverband hat dieses Format zu einem der größten Regionalwettbewerbe bundesweit entwickelt. Dürfen wir uns trotz Pandemie auch 2022 wieder auf Ideen von Jungforschern freuen?
Sie dürfen! Am 8. März begeben wir uns als Ausrichter in der 27. Auflage dieses Wettbewerbs wieder auf Talentsuche. Wir wollen wir junge Menschen für Naturwissenschaft und Technik begeistern und ihr Interesse an Mathematik und Informatik wecken. Deshalb freuen wir uns auf spannende Projekte niederrheinischer Jungforscher beim Regionalwettbewerb in Krefeld am 8. März 2022, der aus Infektionsschutzgründen auch in diesem Jahr wieder virtuell stattfinden wird. Mit diesem Leuchtturm-Projekt unterstreichen wir unser Anliegen, Bildung im unternehmerischen Kontext zu stärken. Das hilft der Wirtschaft als Ganzes.
Aber die Unternehmerschaft Niederrhein ist mehr als „Jugend forscht“ …
Wir sind Interessenvertreter, Koordinator, Ratgeber und Vermittler mit Kontakten zu Kommunen, Landes- und Bundesbehörden. Als Sozialpartner nutzen wir in konstruktiver Zusammenarbeit mit Gewerkschaften und Betriebsräten die Möglichkeit, zu gestalten. Am Herzen liegt uns ferner das Thema Arbeitswissenschaft. Hier reflektieren wir den rasanten Wandel in der Arbeitswelt und bieten maßgeschneiderte Lösungen, zum Beispiel zu Arbeitszeitflexibilisierungen und Schichtplangestaltungen. Wir beraten ganz individuell: Tailliert angepasst oder etwas weiter geschnitten. Wir sind Impuls- und Ideengeber mit praktikablen Lösungen für unsere Mitgliedsunternehmen.