Ausblick der Unternehmerschaft Niederrhein auf neue Wirtschaftsjahr
Kirsten Wittke-Lemm blickt verhalten optimistisch ins das neu gestartete Jahr 2023. Die Hauptgeschäftsführerin der Unternehmerschaft Niederrhein sieht eine wesentliche Aufgabe darin, den Mitgliedsunternehmen gerade in schwieriger Zeit ein verlässlicher Partner zu sein.
Tarifverhandlungen im ständigen Krisenmodus sind so etwas wie die Quadratur des Kreises. Haben Sie den Eindruck, dass sich die Tarifparteien dem angepasst haben?
Absolut – indem sie sich nämlich dieser Herausforderungen annehmen und im sozialpartnerschaftlichen Miteinander Regelungen gestalten, die einerseits den Arbeitgebern langfristige Planungssicherheit sowie eine insgesamt ausgewogene Kostenbelastung bieten, ohne andererseits die Interessen und Sorgen der Beschäftigten angesichts einer außergewöhnlich hohen Inflation außer Acht zu lassen. Dass das insbesondere in Krisenzeiten wie diesen funktioniert, haben wir in diesem Herbst gezeigt: Wir haben in unterschiedlichen Branchen Einigungen mit Signalwirkung erzielt – nämlich dem Signal, dass die Tarifpartner an einem Strang ziehen. So haben wir in der Chemie- und in der Metall- und Elektroindustrie gemeinsam die von der Bundesregierung auf den Weg gebrachte steuer- und abgabenbefreite Inflationsausgleichszahlung tariflich umgesetzt und somit für mehr Netto vom Brutto bei den Beschäftigten gesorgt.
Der Fachkräftemangel ist sicherlich das beherrschende Thema in den Unternehmen. Wo setzt die Unternehmerschaft Niederrhein hier den Hebel an?
Möglichst früh - bei jungen Menschen, die noch auf der Suche nach ihrem persönlichen Weg sind. Wir stehen für die duale Ausbildung, informieren über Aufstiegs- und Verdienstmöglichkeiten. Schließlich sind Karriere und Gehalt ein wichtiger Faktor, der zu einem frühen Eintritt in den Beruf motiviert. Wir setzen den Hebel ganz vielseitig an, wenn ich an Matching-Tools wie Chemie-Akademie, M+E-Truck, Jobbörsen oder demnächst Mentoring-Programme denke. Plattformen wie der Arbeitskreis Schule-Wirtschaft und der anstehende Wettbewerb Jugend-forscht bieten Ventile, aus dem Mangel Chancen zu eröffnen. Ferner müssen wir das Thema Zuwanderung im Blick behalten, hier liegt großes Potenzial.
In den Fachkräftemangel spielt auch die Frauenerwerbsquote mit rein. Hat es geholfen, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit zur Teilzeitausbildung weiter gestärkt hat?
Ja, sehr! Das Anfang 2020 verabschiedete Berufsbildungsmodernisierungsgesetz war wegweisend. Es hilft vielen Frauen und erleichtert ihnen den Einstieg, wenn sie ihre Ausbildung in Teilzeit absolvieren können. Das ist mithin eine Gesetzesnovelle, die ich sehr begrüße und die bereits jetzt schon erkennbar Früchte trägt.
Was hat die Unternehmen in 2022 neben den großen Themen wie Ukraine-Krieg und Fachkräftemangel beschäftigt? Wovon war das tägliche Geschäft geprägt?
Von Bürokratie. Im Jahr 2022 mussten wir unseren Mitgliedsunternehmen viele neue Gesetze erst einmal übersetzen: Was bedeutet das überhaupt für euch? Ich denke etwa an das Nachweisgesetz, das viel Unruhe in die Betriebe getragen und Fragestellungen wie „Müssen wir alle unsere Arbeitsverträge jetzt neu schreiben?“ aufgeworfen hat. Die Arbeitswelt insgesamt und damit auch das Arbeitsrecht befinden sich im rasanten Wandel, dies müssen wir unseren Mitgliedern spiegeln und die richtigen Pfade aufzeigen. Unsere Beratungsleistung ist 2022 also intensiv gefordert gewesen.
Wie kann ein Verband wie die Unternehmerschaft Niederrhein auf die Politik einwirken, dass die Leitplanken unternehmerfreundlich gesetzt werden?
Wir pflegen intensive Kontakte zu den Kommunen sowie über unser Verbändenetzwerk zu Landes- und Bundesbehörden und verschaffen unseren Mitgliedsunternehmen dort Gehör, unter anderem bezogen auf die horrend gestiegenen Energiepreise, die dringend abgefedert werden müssen. Die Auftragslage ist zwar nach wie vor durchaus erfreulich, aber die Ertragsseite hat durch den Krisen-Marathon extrem gelitten. Den Unternehmen laufen die Kosten davon. Gas, Strom, Rohstoffe – allenthalben sind die Preise durch die Decke geschossen. Hier muss Politik lenken.
Digitale Transformation, Energiewende, Nachhaltigkeit – welcher Begriff sollte für die Unternehmen ganz oben stehen?
Alle drei Begriffe sind wichtig, jedes Unternehmen sollte für sich die Schwerpunkte setzen. Wenn ich mir die digitale Transformation ansehe, dann drücken unsere Unternehmen hier schon enorm auf die Tube. Umso wichtiger ist es – insbesondere auch für die kleineren und mittelständischen Unternehmen -, dass die Rahmenbedingungen stimmen. Hier müssen wir zusammen mit der Politik helfen, damit diese Unternehmen mitgenommen werden. Das gilt auch für die anderen Themen Energiewende und Nachhaltigkeit.
Was bringt es einem Start-up, Mitglied in der Unternehmerschaft Niederrhein zu werden?
Start-up’s wollen wachsen. Je größer sie werden, desto relevanter wird für sie unser Leistungsspektrum. Das sind beispielsweise unsere arbeitsrechtliche Expertise, unsere Bildungsangebote, unser Netzwerk – alles wichtig für Jungunternehmer.